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Lautarchiv

„Das Ohr am Archiv“

MA-Seminar (Kulturwissenschaft, Geschichtswissenschaften):

„Das Ohr am Archiv“
Wissens- und Kultureschichte akustischer Daten

Dr. Jochen Hennig , PD Dr. Britta Lange, Prof. Dr. Viktoria Tkaczyk

Wintersemester 2015/16

Als der Berliner Phonetiker Wilhelm Doegen 1915 die Königlich Preußische Phonographische Kommission ins Leben rief, legte er den Grundstein für eines der ehrgeizigsten Schallarchivierungsprojekte der Geschichte. Die Kommission sammelte Aufnahmen von Sprachen, Musik und Geräuschen aus aller Welt. Allein aus dem Zeitraum von 1915 bis 1918 stammen 1030 Edison-Zylinder mit Musikaufnahmen und 1650 Wachsplatten mit Sprachaufnahmen von Kriegsgefangen in deutschen Lagern. Unterstützung fand die Initiative und die in den 1920er bis 1940er Jahren fortgeführte Aufnahmetätigkeit durch so unterschiedliche Disziplinen wie die Phonetik, Linguistik, Orientalistik, Afrikanistik, Musikwissenschaft, Anthropologie, Zoologie, Psychologie und Kriminologie. Heute befinden sich die Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg teils im Berliner Phonogrammarchiv des Ethnologischen Museums, teils im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin.

Hundert Jahre nach Doegens Aufruf zu Tonaufnahmen in Kriegsgefangenenlagern blickt das Seminar zurück auf die Gründung und Nutzung einer ganzen Reihe von Schallarchiven in den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften. Um ihre Gründungsgeschichte zu schreiben, bedienen wir uns historiographischer Methoden aus der Wissenschafts-, Medien- und Kulturgeschichte. Wir fragen nach Zusammenhängen zwischen der politischen Entstehungsgeschichte von Schallarchiven, medientechnischen Erfindungen und wissenschaftlichen Entwicklungen. Welche Forschungs- und Lehrmethoden basierten auf der Möglichkeit der Schallarchivierung? Wie fanden die Tonaufnahmen ihren Weg aus den Archiven zu außerakademischen Hörerkreisen? Welche Spezifika unterscheiden Schallarchive von Bild- oder Schriftgutarchiven? Schließlich wendet sich das Seminar heutigen Diskussionen über den Umgang mit kulturellem Erbe zu. Wie lassen sich Schallarchive öffentlich zugänglich machen? Welche ethischen und juristischen Herausforderungen gehen mit der Digitalisierung der Archivalien einher?

Das Seminar steht in Verbindung mit der Konferenz „Listening to the Archive: Histories of Sound Data in the Humanities and Sciences“, das vom 12.–13. Februar 2015 an der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Max Planck Institute für Wissenschaftsgeschichte stattfindet.