Wissenschaftliche Sammlungen

Lautarchiv

Darstellungsformen: Versuch einer reflexiven Repräsentationskritik

Die Darstellung einer Sammlung in Form einer Datenbank im Internet ist niemals neutral, vielmehr beruht sie unweigerlich auf Auswahlverfahren, Strukturierungen und Darstellungskonventionen, die das Wissen über die Sammlung mitbestimmen. Beim Lautarchiv erscheint dieser allgemeingültige Befund besonders prekär, da das Archiv aus der Zwangssituation von Kriegsgefangenenlagern hervorgeht. Ausgeprägte Hierarchien zwischen Aufnahmeleitung und aufgenommenen Personen sowie die Einordnung individuell Sprechendener als Vertretende von Sprachen waren Teil dieser Praxis. Viele der auch auf dieser Website verwendeten Kategorien und Begriffe sind historisch gewachsen. Sie transportieren mitunter Haltungen, die nicht unbedingt den aktuellen Perspektiven auf die Sammlung und dem Versuch, in transkulturellen Prozessen vielfältiges Wissen über die Aufnahmen zu erzeugen, entsprechen. Zugleich zeigen die Erfahrung der letzten Jahre und vergleichbare Projekte, dass es kaum möglich ist, fortlaufend die Darstellungsformen anzupassen. Von daher sollen im Folgenden zumindest einige diesbezügliche Aspekte reflektiert und benannt werden. Dies soll helfen und ermuntern, in der Nutzung der Datenbank auch eigene Sichtweisen quer zu den vorgegebenen Kategorien zu entwickeln.

Bildpolitiken

Fotografien zeigen nicht nur den Bildinhalt, sondern zeigen auch sich selbst und transportieren beispielsweise durch bestehende Bildtraditionen einen visuellen Überschuss. Im Lautarchivs fallen z.B. Bilder auf, die Sprechende im Stil der sogenannten „Typenfotografie“ zeigen, in der versucht wurde, zu standardisierten Darstellungsformen zu kommen. Diese Bilder tragen einen solchen visuellen Überschuss, der auf die Idee des physiognomischen Vergleichs zurückgeht. Derartige Fotografien sind damit Zeugnisse einer überholten wissenschaftlichen Praxis. Dass auf den Bildern trotz aller Bemühungen um Standardisierungen die Personen als Individuen erkannbar werden, unterläuft den Anspruch der Normierung.

Kategorien, Schlagwörter

Das Lautarchiv geht auf den Versuch zurück, Sprachen und Stimmen systematisch, normiert und typisierend zu erfassen. Entsprechende Kategorien sind in den historischen Personalbögen, die zu den Aufnahmen angelegt wurden, gewählt worden. Mittlerweile haben sich die Perspektiven auf die Aufnahmen gewandelt, doch nach wie vor bilden die in historischen Kontexten entstandenen Kategorien umfangreiche Metadaten. Sie wurden im Rahmen der digitalen Erschließung zum Teil übernommen. In der Datenbankpraxis fällt es vor allem aus Kapazitätsgründen schwer, neue Perspektiven durch die Ergänzung von Datenbankfeldern oder die Überarbeitung des Datenmodells fortlaufend zu ergänzen bzw. zu transformieren.

Darstellungskonventionen wie Stammbäume

In der Datenbank sind die Sprachen genealogisch in Form von Stammbäumen angeordnet. Diese Darstellungsform entspricht dem hierarchischen Prinzip des Thesaurus, der ab 1999 entwickelt wurde und steht auch in Einklang mit gewissen Theorien zur Sprachentwicklung. Zugleich gibt es Kritik an dieser Darstellungsform und der mit ihr verbundenen Theorien. Offensichtlich werden die Grenzen der Stammbaumdarstellung, da sich in der Verästelung beispielsweise Wechselwirkungen zwischen Sprachen nicht visualisieren lassen. Dennoch wurde diese Darstellung gewählt, um die Suche nach Sprachen und Sprachfamilien zu ermöglichen und um eine pragmatische Form der Strukturierung zu finden. Alternative Veranschaulichungen sind denkbar und wären wünschenswert, ihre Entwicklung würde aber ein eigenes Projekt erfordern, für das derzeit keine Kapazitäten zur Verfügung stehen.

Wandel von Namen

Die Namen von Ländern, Regionen, Ethnien und Sprachen sind im Wandel befindlich. Für Recherchen wäre es wünschenswert, aktuelle wie auch historische Begriffe anzubieten, wobei historische Namen mittlerweile mitunter eine abwertende Konnotation besitzen und entsprechend gekennzeichnet werden sollten. Konkrete Hinweise sind willkommen.

Fehler

Bei der Erstellung einer Datenbank mit Einträgen in über 250 Sprachen, mit Transkriptionen von Namen etc. unterlaufen auch bei sorgfältiger Arbeit unweigerlich Fehler. Nur durch die Unterstützung vieler Nutzenden mit unterschiedlichen Expertisen können diese behoben werden, so dass das Lautarchiv auch diesbezüglich für Rückmeldungen dankbar ist.

Zugang zu sensiblen Sammlungsobjekten

Die Aufnahmen aus Zwangssituationen wie Kriegsgefangenenlagern werfen die Frage auf, wie heute mit ihnen verfahren werden soll: Sollen sie vor Missbrauch geschützt werden und deshalb nicht online gestellt werden oder würde durch diese Praxis eine problematische Machtposition seitens der Sammlungsverantwortlichen fortgeführt? Wir gehen davon aus, dass sich die Frage nicht eindeutig beantworten lässt und bemühen uns um eine Diskussion zu diesem Thema wie auch um eine reflektierten Umgang (vgl. den Abschnitt Nutzungsmöglichkeiten).

Sprachversionen der Datenbank

Gerade eine Stimm- und Sprachsammlung, die zum großen Teil im Rahmen einer Machtasymmetrie entstanden ist, sollte Personen, die die vielfältigen Sprachen des Lautarchivs sprechen, den Zugang ermöglichen. Die ursprüngliche Dokumentation der Aufnahmen und auch die Erstellung der Datenbank erfolgte zunächst auf Deutsch, nun bemühen wir uns um entsprechende Übersetzungen, zuerst auf Englisch, perspektivisch möglichst in weitere Sprachen.

Barrierefreiheit

Das Lautarchiv beruht auf einem Projekt, Aufnahmen und damit Wissen in einem Kriegsgefangenenlager zu sammeln. Hierarchien, wer Zugang zu Wissen hat, sind dem Lautarchiv damit von Anbeginn eingeschrieben. Eine Datenbank zum Lautarchiv ermöglicht grundsätzlich eine Entgrenzung dieses Wissens. Zugleich sind die Darstellungsform, die Verwendung eines komplexen Datenmodells etc. mitunter voraussetzungsvoll und knüpfen an wissenschaftliche Konventionen an, die nicht allen Nutzenden gleichermaßen vertraut sind. Unweigerlich kommt es zu Ein- und Ausschlussprozessen. In Form von Ausstellungen, Medienformaten und Projekten in Ländern der Sprechenden kann versucht werden, Personengruppen zu adressieren, die nicht den Zugang über online-Datenbanken wählen oder denen dieser Zugang verwehrt ist.

Rückmeldungen zur Darstellungsform

Der Versuch, das Lautarchiv von einer im Ursprung hierarchisch organisierten Unternehmung zu einem transkulturellen, partizipativen Projekt zu transformieren, schließt den Wunsch nach vielschichtigem Austausch ein. Nicht zuletzt mit Blick auf die Darstellungsformen und ihrer Reflexion ist Feedback willkommen: lautarchiv@hu-berlin.de