Das Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin
Eine Rede des bengalischen Dichters Rabindranath Thakur (ältere Schreibweise: Tagore) an der Berliner Universität 1921 auf Englisch und Sanskrit, koreanische Protestlieder gegen das japanische Protektorat, aufgenommen in deutschen Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs oder die standardisierten Wenkerschen Sätze vorgetragen in nordfriesischem Dialekt – drei Beispiele, die die Bandbreite der Bestände des Lautarchivs der Humboldt-Universität andeuten.
Das Lautarchiv verfügt heute über eine akustische Sammlung in Form von ca. 10.000 Schellackplatten, darüber hinaus über Wachswalzen, Tonbänder, Gelatine- und Aluminiumplatten, die vornehmlich eine Vielzahl von Sprachen und Mundarten sowie Stimmportraits berühmter Persönlichkeiten des Deutschen Kaiserreichs und der Weimarer Republik dokumentieren. Zudem befinden sich schriftliches und fotografisches Dokumentationsmaterial und historische Geräte zur Schallaufzeichnung und -Wiedergabe im Lautarchiv.
Die seit 1909 entstandenen Aufnahmen gewähren einen Überblick über beinahe 100 Jahre phonetische, linguistische und anthropologische Forschungen in Berlin und zeigen Entwicklungen des wissenschaftlichen Sammelns und Archivierens. Ihr kultur- und wissenschaftshistorischer, aber auch ihr politischer Kontext ist den Aufnahmen gleichsam eingeschrieben und tritt besonders bei den Aufnahmen aus deutschen Kriegsgefangenenlagern sowohl des Ersten wie auch des Zweiten Weltkrieges existenziell zu Tage. Da ein großer Teil der Aufnahmen in solchen Zwangssituationen entstanden ist, wird das Lautarchiv als „Sensible Sammlung“ angesehen, was die Frage nach einem angemessenen und respektvollen Umgang mit den Aufnahmen und gegenüber den Sprechenden aufwirft.
Die Aufnahmen auf Schellackplatten konnten ab 1999 digitalisiert werden. Sie sind in der Datenbank „Kabinette des Wissens“ katalogisiert und online recherchierbar.
Bereits erfolgte Projekte zeigen, dass interdisziplinäre und vor allem auch interkulturelle Projekte mit Personen aus den Herkunftsländern der Sprechenden immer neue Bedeutungszuschreibungen möglich machen. Ziel ist es, sukzessive die Aufnahmen wissenschaftlich zu erschließen und zugänglich zu machen.
Wir freuen uns über Ihre Kontaktaufnahme, um sich in Forschungs- und Lehrprojekten oder in Form von redaktionellen, journalistischen, kuratorischen und künstlerischen Beiträgen mit den Aufnahmen des Lautarchivs zu befassen, neue Perspektiven zu entwickeln und die Bestände neuen Personengruppen bekannt zu machen.
Für einen umfassenden Überblick über rezente Zugänge zum Lautarchiv und neuere Forschungsansätze lesen Sie bitte Jochen Hennig: Wechselnde Formate. Zur rezenten Geschichte der Sprachaufnahmen des Berliner Lautarchivs – ein Bericht.
Für eine Erörterung der juristischen und kulturethischen Kriterien für die Nutzung der Aufnahmen aus dem Lautarchiv lesen Sie bitte das Dossier zum interdisziplinären Forschungsseminar, das im Sommersemester 2015 an der Humboldt Universität stattfand: Hrsg. Thomas Hartmann, Britta Lange, Jochen Hennig - Du hast mein Wort.